Tipp: Kulturzeit, Mittwoch 02.09.2105

Ein schlimmes Beispiel dafür, wie die Freiheit der Kunst in Europa bedroht ist zeigte der Beitrag : Kirche gegen Kunst in der Sendung Kulturzeit am 02.09.2015 zu finden in der Mediathek von 3sat. Das am Ende noch gegen die Ausstellungsmacher ermittelt wird … Aber schaut ruhig selbst.

Freischauender Kunstbetrachter zu sein bedeutet auch sich das was man nicht mag, weil es einen verstört, das persönliche Schamgefühl verletzt oder anekelt nicht anzusehen, Anderen aber die Entscheidung selbst zu überlassen.

Russland: Kirche gegen Kunst

Der FREISCHAUENDE KUNSTBETRACHTER im Praxistest

Der FREISCHAUENDE KUNSTBETRACHTER im Praxistest
Als wir im Juli die Ausstellung ImEx in der Alten Nationalgalerie in Berlin besuchten, zeigte uns unsere Führerin auch das Bild „Im Boheme-Cafe´“ von Leo von König. Sie beschrieb es uns als den Ausdruck einer Beziehung, die am Scheideweg steht, als ein Symbol dafür verwies sie auf die erloschene Kerze in der Mitte des Tisches.
Als folgsame Ausstellungsbesucherin folgte ich Ihren Worten mit dem Blick und dieser blieb an besagter „Kerze“hängen. Für mich war es keine Kerze, darauf wies ich die Führerin auch hin. Die schaute erst irritiert, dann interessiert und dann erkennend auf den strittigen Gegenstand, und versprach das in der nächsten Teambesprechung vorzubringen.
Zu hause angekommen ließ mich der Gedanke an das Bild nicht los, und so ergab sich folgender Briefwechsel.

 

Alte Nationalgalerie Berlin
Bodestraße 1 – 3
10178 Berlin
Sehr geehrte Damen und Herren,
am gestrigen Donnerstag, 23.07. hatte ich das Vergnügen mit einer kleinen Gruppe meiner Kursteilnehmer die Ausstellung ImEx in Ihrem Hause zu sehen. Wir hatten eine Führung mit Frau Schneider aus Bremen, die uns sehr gut gefallen hat. Dafür nochmal herzlichen Dank.
Bei dem Bild „Im Boheme-Cafe“ von Leo von König ist mir allerdings etwas aufgefallen. Bei dem Objekt in der Mitte des Tisches, das in der Führung, wie auch im Katalog, als „ dunkelrote Kerze“ bezeichnet wird, handelt es sich mit hundertprozentiger Sicherheit um einen Streichholzschachtelhalter. Ein in früheren Zeiten verbreitetes und gebräuchliches Utensil, oft in Doppelfunktion auch als Aschenbecher zu gebrauchen. Dafür sprechen auch die, wie unachtsam gesetzten Farbtupfer am Rand des schalen förmigen Fußes. Die dunkelrote Fläche ist die Reibefläche der Streichholzschachtel. Was oben in gelblichen Ockertönen zu sehen ist, sind die aus der Schachtel ragenden Streichhölzer. Der Gast konnte so bequem und ohne viel Fummelei mit einer Hand und einer eleganten Bewegung ein Streichholz entnehmen und entzünden.
Frau Schneider sagte, dass Sie das mal weiterleiten wollte. Leider habe ich Ihr nicht meine Adresse gegeben. Es würde mich jetzt einfach interessieren, was Sie dazu meinen und was mit dieser Information passiert.
Über eine Kurze Nachricht würde ich mich sehr freuen.
Farbenfrohe Grüße
Britta Chr. Keller
Die nette Antwort folgte prompt.
Sehr geehrte Frau Keller,
eben habe ich mir noch einmal dass Bild „Im Boheme-Café“ von Leo von König angesehen: Sie haben natürlich recht, einmal darauf aufmerksam gemacht, sieht man einen Streichholzschachtelhalter. Ich kenne diese Objekte auch noch gut.
Allerdings, fürchte ich, wird diese Information wieder verloren gehen. Wäre es ein Museumsbild, würde man den Bildtext im Netz ändern oder es in der Bildakte vermerken. Diese Bild aber gehört privaten Leuten, sie werden es in einigen Jahren für uns heute unbekannte Ausstellungen wieder verleihen. Meines Wissens arbeitet auch gerade niemand über Leo von König.
Aber während dieser Schau wissen wir nun: Keine Kerze, sondern ein Streichholzschachtelhalter und werden es auch weitersagen.
Mit den besten Grüßen

Der FREI schauende Kunstbetrachter – Gerne teilen

 Frei schauender Kunstbetrachter

Die ersten vier Buchstaben der Berufsbezeichnung FREIschaffende/r KünstlerIn sind für mich immer wieder ein Anlass zur großen Freude. Die Künstler können aus dem Vollen schöpfen. Zurückgreifen auf die Grundsätze der klassisch akademischen Ausbildung, alten Traditionen folgen, große Meister und Themen neu interpretieren oder bewusst mit all dem brechen und aus sich heraus neue Wege gehen. Welchem Ruf Herz, Hand und Medium gerade folgen und dabei die Glaubenssätze der akademischen Kunstausbildung oft über Bord werfen ist immer wieder überraschend. Begeisternd, ratlos machend, Zweifel weckend, herausfordernd, erheiternd, erschütternd, auf jeden Fall bereichernd und bewegend.

Beim Betrachter der Werke führt das oft zu Verunsicherung, Enttäuschung, Unverständnis bis hin zur strikten Ablehnung. Das hat sicher viel mit der menschlichen Neigung zu tun Dinge einordnen zu wollen, nicht selten um sie dann auch besser vergleichen und bewerten zu können.

Ich möchte jedermann dazu ermutigen sich die Freude an der eigenen, freien Auseinandersetzung mit Kunst nicht nehmen zu lassen. Spaß am entdecken neuer Perspektiven, erstaunen über ungewöhnliche Kompositionen, erschrecken über unverhüllte Wahrheiten. Dass alles und noch viel mehr hält Kunst für den FREI – schauenden Kunstbetrachter bereit. Mehr Fragen als Antworten, aber auch diese.

Ich wünsche allen Menschen einen lebendigen, lang andauernden Dialog mit der Kunst, Mut zum freien Blick und Vertrauen in die eigene Urteilskraft.

Britta Chr. Keller

Salzhausen, September 2013

 

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